Otto Freundlich, 1878–1943
Otto Freundlich, ein Wegbereiter der abstrakten Kunst, wird 1878 in Stolp, Pommern (heute Słupsk), geboren. Sein Vater ist Kaufmann, seine Mutter stirbt ein Jahr nach Ottos Geburt. Nach Abbruch des Gymnasiums im Jahr 1892 holt Freundlich das Abitur 1903 nach und studiert an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin (heute Humboldt-Universität) bei Heinrich Wölfflin, Adolph Goldschmidt, Max Dessoir und Georg Simmel Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft.
Im Februar 1904 lernt er den späteren Galeristen und Herausgeber des Sturm Herwarth Walden kennen. Ein Briefwechsel beginnt, Freundlich kommt auch in Kontakt mit Waldens erster Ehefrau, der Dichterin Elke Lasker-Schüler. Im selben Jahr zieht Freundlich nach München, wo er Bekanntschaft mit Wassily Kandinsky und Paul Klee macht. Ende 1904 bricht er das Studium ab. Es folgen mehrere Aufenthalte in Florenz. 1907 bezieht Freundlich ein Atelier in der Via dei Serragli und widmet sich erst ausschliesslich der Plastik. Ende des Jahres kehrt er nach Berlin zurück und studiert Bildhauerei in den privaten Kunstschulen von Arthur Lewin-Funcke und Lothar von Kunowski.
1908 mietet Freundlich ein Atelier in Paris und lernt unter anderem Pablo Picasso, Auguste Herbin, Georges Braque, Max Jacob, Guillaume Apollinaire und Robert Delaunay kennen. Er wird von Wilhelm Uhde in die Künstlerkreise am Montmartre eingeführt und freundet sich mit dem Künstlerpaar Adya und Otto van Rees an. Weiteren Aufenthalten in Paris folgen regelmässige Sommeraufenthalte in der Künstlerkolonie Fleury-en-Bière im Wald von Fontainebleau; in Freundlichs Werk beginnt sich eine symbolistische Prägung zu zeigen. Er wird Mitglied in der Berliner Secession und der Neuen Berliner Secession, reist nach München und Hamburg. Im Herbst kehrt er nach Paris zurück, wo seine erste Kosmische Komposition entsteht. Im Jahr 1911 nimmt die Freundschaft mit dem Künstler Karl Schmidt-Rottluff ihren Anfang. Er lernt die Kunsthistorikerin Rosa Schapire und den Kölner Sammler Josef Feinhals kennen, die Werke Freundlichs erwerben. Er pflegt Umgang mit den Expressionisten Erich Heckel, Heinrich Campendonk und Otto Müller.
Aufträge an Freundlich folgen, sowie Kontakte zu der Kölner Künstlergruppe der ‘Unisten’ um Max Ernst, Peter Abelen und F.M. Cahén. Wieder in Paris erweitert sich sein künstlerisches Umfeld um Jan F. van Deene und Piet Mondrian, er nimmt Verbindung zu den Bildhauern Constantin Brâncusi und Amedeo Modigliani auf. Im Winter 1912 modelliert er in der Kunstgewerbeschule das Tonmodell zur heute verschollenen monumentalen Plastik Großer Kopf (Der neue Mensch), die im Jahr 1937 auf der Frontseite des Katalogs zur nationalsozialistischen Ausstellung Entartete Kunst als Aufmacher erscheinen wird.
Im Frühjahr 1914 bezieht Freundlich ein Atelier im Nordturm der Kathedrale in Chartres. Er studiert die mittelalterlichen Glasfenster, es entstehen erste Glasfensterentwürfe. Julia Friedrich hat im von ihr herausgegebenen Katalog zu den bedeutsamen Ausstellungen im Museum Ludwig in Köln und im Kunstmuseum Basel im Jahr 2017 auf die bisher vernachlässigte Bedeutung dieser Glasarbeiten für Otto Freundlichs künstlerische Entwicklung hingewiesen: Laut Friedrich findet eine Wandlung vom expressionistisch-symbolistischen Stil des Frühwerks zu einer Abstraktion statt, die sie als “prismatisch-aufgebrochen” bezeichnet. Insbesondere die Pastellwerke der zwanziger Jahre, mit ihren trapezartigen, leicht rotierenden Flächen, verdanken ihre charakteristische Erscheinung dem Studium der Glasmalerei.
Im übertragenen Sinn sieht Otto Freundlich das “Nebeneinandermalen” und die “innige Verbindung aller Flächen auf einem Bild” als organischen Kreislauf von Kräften, wie er dies selbst in einer seiner zahlreichen Schriften zum Ausdruck bringt, nämlich im 1935 verfassten, zum Anlass der genannten Ausstellungen erstmals ungekürzt veröffentlichten Text “Bekenntnisse eines revolutionären Malers”. Wie von Julia Friedrich konstatiert, bringt er seine künstlerische Ausdrucksweise mit seiner politischen Überzeugung, dem Sozialismus, in Übereinstimmung; die in leuchtenden Pastellpigmenten aufgetragenen Formen sind für ihn “Spiegel einer kosmischen Ordnung”.
1919, in einem Brief aus einem Reservelazarett in Trier, formuliert er erstmals den Begriff des “Kosmischen Kommunismus”, den er als Basis der jungen Kunst sieht. Er engagiert sich in der Novemberrevolution, überzeugt, dass der politische Umbruch gleichermassen die Kunst von aller Bevormundung befreien soll. So gehört er auch zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Novembergruppe mit Adolf Behne, Walter Gropius, Schmidt-Rottluff, Max Pechstein und anderen. Im selben Jahr beginnt seine Mitarbeit an der Kölner Dada-Zeitschrift Bulletin D.
In den kommenden Jahren lässt seine Kompromisslosigkeit Versuche einer institutionellen Verankerung scheitern; so bemüht sich Walter Gropius, Freundlich für eine Dozentenstelle in Weimar zu gewinnen, Walter Benjamin zieht ihn als Mitarbeiter seiner Zeitschrift Angelus Novus in Betracht. Das Angebot Bruno Tauts, an der Magdeburger Kunstgewerbeschule in der Bildhauerklasse zu lehren, schlägt Freundlich aus.
1924 übersiedelt Freundlich nach Paris, 1926 besucht er zum ersten Mal wieder Chartres. Er wird Korrespondent der Zeitschrift a bis z, die von den Kölner Progressiven herausgegeben wird, sowie Mitglied der Künstlergruppe Cercle et Carré um Michel Seuphor, Joaquín Torres García und Georges Vantongerloo. 1929 wird ein Gipsguss seiner Skulptur Ascension im Kunsthaus Zürich ausgestellt.
Im Juli und August 1937 werden vierzehn Werke Freundlichs aus öffentlichen Sammlungen durch das Reichministerium für Propaganda und Volksaufklärung beschlagnahmt. 1938 wird er vom renommierten Kunsthistoriker und Herausgeber des Burlington Magazine, Herbert Read, zur Teilnahme an The Exhibition of 20th Century German Art in London eingeladen, eine von Read konzipierte Reaktion auf die NS-Ausstellung Entartete Kunst. 1939 wird Otto Freundlich als deutscher Staatsbürger von der französischen Polizei verhaftet. Es ist der Beginn von mehreren Aufenthalten in französischen Internierungslagern. Ende 1940 findet er Zuflucht im Hotel Galamus in Saint-Paul-de-Fenouillet, allerdings steht er unter Hausarrest. Er stellt mehrere Einbürgerungsanträge und versucht, eine Ausreisegenehmigung für die USA zu erhalten, beide Versuche scheitern. Als 1942 die Deportationen von Juden aus Frankreich beginnen, versteckt sich der jüdisch-stämmige Freundlich bei bei einer Bauernfamilie im über Saint-Paul gelegenen Dorf Saint-Martin-de-Fenouillet. 1980 wird die Kunsthistorikerin Rita Wildegans dort in einem Verschlag seine Malutensilien finden.
Im Februar 1943 wird Otto Freundlich denunziert und verhaftet. Anfang März folgt die Deportation in das polnische Vernichtungslager Sobibor, wo er ermordet wird. Das genaue Todesdatum ist nicht bekannt.
Otto Freundlich, 1878-1943
Otto Freundlich, a pioneer of abstract art, is born in 1878 in Stolp, Pomerania (now Słupsk). His father is a local merchant, his mother dies one year following Otto’s birth. After dropping out of school in 1892, Freundlich returns and completes his ‘Abitur’ in 1903. He goes to Berlin to study art history, philosophy and literary studies at the Royal Friedrich Wilhelm University (today Humboldt University) with Heinrich Wölfflin, Adolph Goldschmidt, Max Dessoir and Georg Simmel.
In February 1904 he meets Herwarth Walden, who later will own a gallery and publish the Sturm. They begin corresponding. Freundlich also gets acquainted with Walden’s first wife, the poet Elke Lasker-Schüler. The very same year, Freundlich moves to Munich where he meets Wassily Kandinsky and Paul Klee. At the end of 1904 he suspends his studies. Following several stays in Florence, Freundlich in 1907 moves into a studio in the Via dei Serragli, devoting himself to sculpture exclusively. At the end of the year, he returns to Berlin to study sculpture at the private art schools of Arthur Lewin-Funcke and Lothar von Kunowski.
In 1908 Freundlich rents a studio in Paris and engages with Pablo Picasso, Auguste Herbin, Georges Braque, Max Jacob, Guillaume Apollinaire and Robert Delaunay, among others. He is introduced to the artistic circles in Montmartre by Wilhelm Uhde and befriends the artist couple Adya and Otto van Rees. Further sojourns in Paris are followed by regular summer stays in the artists’ colony Fleury-en-Bière in the forest of Fontainebleau; Freundlich introduces a Symbolist influence in his work. He becomes a member of the Berliner Secession and the Neue Berliner Secession; he travels to Munich and Hamburg. In autumn, upon returning to Paris, he creates his first Cosmic Composition. In 1911 his friendship with the artist Karl Schmidt-Rottluff takes off. He meets art historian Rosa Schapire and collector Josef Feinhals from Cologne, both acquire Freundlich’s works. He is in touch with the Expressionists Erich Heckel, Heinrich Campendonk and Otto Müller.
Commissions to Freundlich follow, and he associates with the Cologne artist group of the ‘Unisten’ around Max Ernst, Peter Abelen and F.M. Cahén. Back in Paris, he expands his artistic circle to include Jan F. van Deene and Piet Mondrian. Moreover, he contacts sculptors Constantin Brâncusi and Amedeo Modigliani. In the winter of 1912, at the Kunstgewerbeschule, he creates the clay model for the now lost monumental sculpture Großer Kopf (Der neue Mensch), which was to appear on the front page of the catalogue for the National Socialist exhibition Entartete Kunst in 1937.
In the spring of 1914 Freundlich moves into a studio in the north tower of the Chartres cathedral. He studies the medieval stained-glass windows and creates his first stained-glass window designs. Julia Friedrich in 2017 pointed to the hitherto neglected significance of these glass works for Otto Freundlich’s artistic development in the catalogue she edited for the important exhibitions at the Museum Ludwig in Cologne and the Kunstmuseum Basel: According to Friedrich, there is a transformation from the expressionist-symbolist style of the early works to an abstraction that she describes as “prismatic-fragmentary”. The pastel works of the 1920s in particular, with their trapezoidal, slightly rotating surfaces, owe their characteristic appearance to his studies of stained glass.
As he himself expressed in one of his numerous writings, namely in the text “Confessions of a Revolutionary Painter”, written in 1935 and published unabridged for the first time on the occasion of the exhibitions mentioned above, Otto Freundlich, in a figurative sense, sees this “painting side by side” and the “intimate connection of the fields in a picture” as an organic cycle of forces. As further stated by Julia Friedrich, he comes to align his artistic expression with his political conviction: socialism. The forms applied in luminous pastel pigments to him are “mirrors of a cosmic order”.
He devises his concept of “Cosmic Communism” – which he sees as the foundation of young, emerging art – for the first time in 1919, in a letter sent from a reserve hospital in Trier. He gets involved in the November Revolution, convinced that the political upheaval should also liberate art from all paternalism. He is one of the founding members of the Berlin Novembergruppe with Adolf Behne, Walter Gropius, Schmidt-Rottluff, Max Pechstein and others. In the same year, he begins to collaborate on the Cologne Dada magazine Bulletin D.
In the years to come, his uncompromising attitude causes attempts of institutionalisation to fail; Walter Gropius, for example, tries to win Freundlich a lectureship in Weimar, and Walter Benjamin considers him as a contributor to his journal Angelus Novus. Freundlich turns down Bruno Taut’s offer to teach sculpture at the Magdeburg School of Applied Arts.
In 1924 Freundlich moves to Paris, and in 1926 he revisits Chartres for the first time. He becomes a correspondent for the magazine a bis z, published by the Kölner Progressiven, and a member of the artists’ group Cercle et Carré around Michel Seuphor, Joaquín Torres García and Georges Vantongerloo. In 1929 a plaster cast of his sculpture Ascension is exhibited at the Kunsthaus Zürich.
In July and August 1937, fourteen of Freundlich’s works are confiscated from public collections by the Reichministerium für Propaganda und Volksaufklärung. In 1938 he is invited by renowned art historian and editor of the Burlington Magazine, Herbert Read, to participate in The Exhibition of 20th Century German Art in London, a show conceived by Read as a response to the Nazi exhibition Entartete Kunst. In 1939 Otto Freundlich, as a German citizen, is arrested by the French police. It is the onset of several stays in French internment camps. By the end of 1940 he finds refuge in the Hotel Galamus in Saint-Paul-de-Fenouillet, but he is put under house arrest. He submits several applications for naturalisation and tries to obtain a permit to leave the country for the USA; both attempts fail. When the deportations of Jews from France begin in 1942, Freundlich, who is of Jewish descent, hides in the village of Saint-Martin-de-Fenouillet above Saint-Paul with a farmer’s family. In 1980, the art historian Rita Wildegans will there in a shed find his painting utensils.
In February 1943, Otto Freundlich is denounced and arrested. At the beginning of March, he is deported to the Polish extermination camp Sobibor, where he is murdered. The exact date of his death remains unknown.